10+X Gebote für erfolgreiches Change Management

Über Erfolg und Misserfolg von "Change" wird viel geschrieben. Doch welche Erkenntnisse sind aus wissenschaftlicher Sicht wirklich gesichert? Ein Beitrag über die Gebote für erfolgreiche Wandelvorhaben.

von Prof. Dr. Christian Gärtner

Was Führungskräfte sich merken sollten

Zunächst ist interessant, dass sich in den unterschiedlichen Büchern der Change Gurus größtenteils die gleichen Erfolgsfaktoren finden lassen. Manchmal werden sie als Phasen oder Schritte beschrieben, manchmal als Fehler, die unbedingt zu vermeiden sind. Aber im Kern sind es „10 Gebote“ (Kenner von John P. Kotters Acht-Stufen-Prozess werden einige Wiedererkennungsmomente haben):

Die Erkenntnisse dieser Studie haben wir für Sie aufbereitet:

Stouten, J., Rousseau, D. M., & De Cremer, D. „Successful Organizational Change: Integrating the Management Practice and Scholarly Literatures“,
Academy of Management Annals, 2018; 12(2): 752–788.

  1. Analysiere die Chancen bzw. die Gefahren, die den Wandel auslösen.
  2. Bestimme und bemächtige eine Koalition der Erneuerer.
  3. Formuliere eine überzeugende Vision.
  4. Sorge für eine breite Vermittlung der Vision.
  5. Plane die Veränderung, um Veränderungsenergie zu mobilisieren.
  6. Befähige die Mitarbeiter für den Wandel.
  7. Investiere in neues Wissen und Fähigkeiten.
  8. Identifiziere schnelle Erfolge und nutze sie als Verstärker im Wandelprozess.
  9. Überprüfe den Fortschritt des Wandels kontinuierlich, um die Aufmerksamkeit hochzuhalten.
  10. Verankere die Veränderungen in der Unternehmenskultur, den Prozessen und in den nachfolgenden Management-Generation.

Breite empirische Unterstützung erfahren die Gebote 1, 4, 5, 6, 7, 9 und 10. Zu gemischten Ergebnissen kommen Studien zu den Geboten 3 und 8, während es kaum Forschung zum zweiten Gebot gibt.

Ein blinder Fleck der Ratgeberliteratur ist, dass sie weder nach Wandelanlässen noch nach individuellen Faktoren differenziert: Die Gebote sollen für alles und jeden gelten. Dabei ist offensichtlich, dass etwa die Internationalisierung andere Probleme hervorbringt als eine Akquisition oder die Einführung eines neuen IT-Systems. Der Wandelanlass allein erklärt aber noch nicht ganz, welche Befürchtungen und Hoffnungen auftauchen und vielleicht wieder abflauen. Empirische Untersuchungen gibt es vor allem zu den Fragen, wie man die Wandelbereitschaft und Akzeptanz in der Belegschaft erhöht und wie professionelles Change Management aussieht.

Handelsblatt Rethink Work
Handelsblatt Rethink Work

Axa-Personalchefin über Transformation: „Die Veränderungsbereitschaft in Unternehmen wird wahnsinnig überschätzt“

Wer Sirka Laudon fragt, was er tun muss, damit sein Transformationsprojekt im Unternehmen scheitert, der bekommt diese Anleitung: „Dann sollte er wenig Motivation ausstrahlen,…

14.02.2022 | von Kirsten Ludowig und Charlotte Haunhorst

Die erste Empfehlung ist, den Mitarbeitern vorteilhafte Angebote während des Wandels zu machen: ideelle und personelle Unterstützung sowie Belohnungen und Kompensationen für Nachteile. Die Vorteile der Veränderung werden damit greifbar und der Stress nimmt ab. Ebenso erhöht die wahrgenommene Kontrolle über den Wandelprozess die Bereitschaft, die Ergebnisse zu akzeptieren. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist das Vertrauen in die Führungskräfte. Es steigt vor allem, wenn diese als integer, wohlwollend und kompetent wahrgenommen werden. Verhalten sich Führungskräfte zudem respektvoll gegenüber der Belegschaft, indem sie deren Meinungen und Bedenken ernst nehmen, werden die Maßnahmen als fairer empfunden und die Wandelbereitschaft erhöht sich.

Ob Mitarbeiter und Manager dem Wandel ablehnend begegnen oder nicht, steht und fällt vor allem mit ihren Fähigkeiten und – noch mehr – mit ihrer Persönlichkeit. Da sich Kompetenzen zwar trainieren, personelle Eigenschaften aber nur schwer entwickeln lassen, empfehlen die Forscher, schon bei der Einstellung von Mitarbeitern auf eine hohe Offenheit für Neues zu achten.

Prof. Dr. Christian Gärtner

ist Professor für Human Resources Managment und Digitalisierung an der Hochschule München sowie Referent des Kurs Change Professional.

Das professionelle Change Management beginnt mit der Diagnose dreier Aspekte: (1) Wandelnotwendigkeit und bedarf, (2) vorangegangene Projekte, existente Strukturen und Einschränkungen, (3) individuelle und organisationale Wandelbereitschaft. Anschließend gilt es, in die Vision eingebettete Umsetzungsmaßnahmen zu entwickeln. Eine überzeugende Vision muss konkret und gleichzeitig breit sein, um unterschiedliche Stakeholder anzusprechen. Dieser Spagat gelingt, wenn die Vision die gemeinsamen Werte und Ziele der Bezugsgruppen anspricht. Konkrete Zahlen, Geschichten und Visualisierungen helfen dabei, die Vision zu kommunizieren. Dabei gilt: Erst die konsistente Wiederholung führt zur Verinnerlichung.

Die anschließenden Interventionen sollten auf drei Faktoren abzielen: (1) wandelspezifische Fähigkeiten erhöhen (zum Beispiel durch Training und Coaching), (2) monetäre und nicht monetäre Belohnungsangebote machen (etwa in Bezug auf die Karriereoptionen), (3) Testmöglichkeiten schaffen (beispielsweise durch lokale Piloten). Im besten Fall schaffen diese drei Faktoren zusammen die sogenannte psychologische Sicherheit: eine zwischenmenschliche Risikobereitschaft, die auf der gemeinsamen Überzeugung beruht, dass man sich auf die Veränderung einlassen kann, ohne die Karriere oder das Selbstbild zu gefährden.

Der wichtigste Satz der Studie

Ziele sind zentral für menschliches Handeln, weshalb Change Manager auf die Kongruenz von individuellen, teambasierten und organisationalen Zielen achten müssen

Der nachdenklichstes Satz der Studie
Wichtiger als die Geschwindigkeit bei Wandelprozessen (schnell/revolutionär vs. langsam/evolutionär) scheint zu sein, wie gut die Implementierung gemacht wird.

Die Studie aus Praxissicht weitergedacht

Für Führungskräfte lohnt es sich, den 10 + x Geboten zu folgen. Denn viele Betroffene erwarten, dass erfolgreiche Change Manager diese Regeln beachten. Das setzt eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in Gang: „Entsteht der Eindruck, dass die richtigen Dinge getan werden, dann werden die Dinge auch richtig getan.“ Dennoch erscheinen einige der Gebote ein wenig aus der Zeit gefallen. Obwohl allerorten von selbstorganisierten Teams und breit angelegter Partizipation die Rede ist, dominiert in den meisten Bestsellern eine Top-down-Philosophie.

Ein blinder Fleck der Ratgeberliteratur ist, dass sie weder nach Wandelanlässen noch nach individuellen Faktoren differenziert.

Natürlich gibt es noch weitere Faktoren, die (Change) Manager berücksichtigen müssen. Zum Beispiel die Organisationskultur, die Anpassung des Führungsstils an diese Kultur und an den Wandelanlass. Welche Faktoren in einer bestimmten Situation welche Auswirkungen haben, lässt sich mittlerweile durch Change Analytics recht gut abschätzen. Mit dieser Methode werden die Daten fallspezifisch aufbereitet.

Die Studie beschreibt nicht, was die Wandelfähigkeit von Mitarbeitern und Managern ausmacht. Oft genannte Eigenschaften veränderungsfähiger Menschen sind das ganzheitliche Denken, eine rasche Auffassungsgabe, die Unsicherheits- und Ambiguitätstoleranz, die Durchhaltefähigkeit und die Neugier.

Über die individuelle Ebene hinaus braucht es organisatorische Prozesse, Praktiken und Programme, die personenunabhängig und dauerhaft regeln, wie auf Wandelanlässe reagiert wird. Die Liste an Praktiken hierfür ist lang und nur teilweise empirisch validiert: Sie reicht von der Anpassung des Performance-Management-Systems an längerfristige Ziele, die quartalsweise überprüft werden und nicht an Boni geknüpft sind, über die gleichzeitige Etablierung von Flexibilität und Stabilität, etwa durch überlappende Stellenbeschreibungen oder Rotation bei gesicherten Arbeitsplätzen, bis hin zu firmeneigenen Inkubatoren und einer Kultur, die Lernen aus Fehlschlägen honoriert. Das Problem dabei ist, dass Change Management in der Praxis oft nur eines von vielen Teilprojekten eines größeren Programms bildet. Wie soll ein Change Manager aber an den großen Hebeln wie Zielsystemen, Strukturen und Kultur drehen? Die 10 + x Gebote zu verstehen ist nicht schwer. Aber für ihre Umsetzung braucht es Entscheidungsmacht.

Dieser Beitrag stammt aus dem Fachmagazin changement!, Ausgabe 1/2019, Seite 38-39



Weitere passende Artikel

Agilität

Eine Frage der Haltung, der Werte und Prinzipien

Die agile Organisation ist in aller Munde. Doch was ist das eigentlich? Der Versuch einer Annäherung. 

von Jan C. Weilbacher
Leadership

Führung als Herausforderung im digitalen Zeitalter

Digital Leadership bedeutet heute, dass man den Dreiklang der Digitalen Transformation aus Wollen, Können und Machen beherrscht. In allen drei Bereichen lassen sich in Deutschland allerdings auf allen Management-Ebenen immer noch erhebliche Defizite beobachten.

von Prof. Dr. Tobias Kollmann
Zusammenarbeit

Radikal gut (virtuell) zusammenarbeiten 

In der Corona-Pandemie sind in vielen Unternehmen Zusammenarbeitsmodelle in Windeseile angepasst und digitalisiert worden. Nicht überall waren und sind dafür die notwendigen Fähigkeiten vorhanden. Der Ansatz Radical Collaboration zeigt auf, wie einige sehr analog anmutende Kompetenzen auch im virtuellen Raum den Unterschied zwischen Teamerfolg und innerer Kündigung ausmachen können. 

von Arne Reis