Führung als Herausforderung im digitalen Zeitalter

Digital Leadership bedeutet heute, dass man den Dreiklang der Digitalen Transformation aus Wollen, Können und Machen beherrscht. In allen drei Bereichen lassen sich in Deutschland allerdings auf allen Management-Ebenen immer noch erhebliche Defizite beobachten.

von Prof. Dr. Tobias Kollmann

Nicht alle „Wollen“ sich – trotz Corona – mit digitalen Veränderungen auseinandersetzen, nur wenige haben wirklich das fundierte Wissen für das „Können“ und es scheitern immer noch zu viele an dem „Machen“ und damit an der konkreten Umsetzung von digitalen Projekten. Aber nur, wenn alle drei Bereiche gleichermaßen betrachtet werden und wirksam zusammenkommen, kann eine digitale Transformation und digitale Innovation für Deutschland im Hinblick auf Industrie, Mittelstand und Start-ups gelingen.

Prof. Dr. Tobias Kollmann

ist Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen. Seit 1996 befasst er sich mit wissenschaftlichen Fragestellungen rund um die Themen Internet, E-Business und E-Commerce. Als Mitgründer von AutoScout24 gehörte er mit zu den Pionieren der deutschen Internet-Gründerszene und der elektronischen Marktplätze.

Festklammern am Status Quo 

Im Hinblick auf das „Wollen“ muss man es direkt am Anfang deutlich sagen: Digitalisierung bedeutet Veränderung! Und die muss man eben zunächst einmal wirklich „wollen“. Viele Verantwortliche tun sich hier schon schwer, denn eigentlich wollen sie von ihrem Erfahrungswissen und den erarbeiteten Positionen weiter so profitieren wie in der Vergangenheit. Das führt aber in der Regel zu einer Verteidigungshaltung, einem Festklammern am Status Quo. Und das funktioniert angesichts der tiefgreifenden Veränderungen durch die Digitalisierung nicht mehr. 

Diese tiefgreifenden Veränderungen werden von außen aggressiv an die Unternehmen herangetragen und können nicht von innen heraus verwaltet werden. Hinzu kommt, dass in den meisten Anreiz- und Belohnungssystemen von Geschäftsführern und Vorständen die Ergebniszahlen aus dem laufenden Stammgeschäft im Vordergrund stehen – nicht die mutige und risikoreiche Ausrichtung auf neue digitale Geschäftsmodelle. Dadurch verkümmern viele vermeintliche Digitalisierungs-Offensiven zu einer reinen IT-Automatisierung, um vorhandene Prozesse noch effizienter zu machen. Das Ergebnis sind dann eher inkrementelle statt disruptive Fortschritte.

Entwicklung der Digitalen Kompetenzen auf Basis des Digital-Leadership-Index

Digital Leadership Index

Seit 2019 ist der Digital Leadership Index (www.digital-leadership-index.de) als kostenloser Selbsttest im Internet verfügbar,mit dem man herausfinden kann, ob man schon fit genug ist für die Unternehmensführung im digitalen Zeitalter. Auch heute – ein Jahr später – sind die Ergebnisse weiterhin ernüchternd. Vor dem Hintergrund oder auch gerade wegen der Corona-Pandemie nimmt der Digitalisierungs-Wille immer mehr zu, aber es fehlt weiterhin an digitalem Fachwissen, um Digitalisierungsprojekte im Unternehmen bestmöglich umzusetzen. Es zeigt sich, dass fehlendes Fachwissen nun zu einem leichten Rückgang an digitalen Umsetzungsprojekten (Digital Execution) geführt hat. Dabei hat gerade die Corona-Pandemie gezeigt, welchen neuen und wichtigen Stellenwert digitale Prozesse einnehmen.

Auch dass der Mensch – insbesondere mit zunehmendem Alter – Veränderungen grundsätzlich eher kritisch gegenübersteht, hilft beim dynamischen Thema Digitalisierung überhaupt nicht weiter, da die Veränderung ja gerade ihr wesentliches Merkmal ist.

Wo früher Erfahrung ein wesentliches Qualitätsmerkmal war, ist es heute der Faktor Ausprobieren. Das bedingt aber Entscheidungen unter Unsicherheit und dafür sind die aktuellen Strukturen unserer Wirtschaft zu wenig ausgelegt. Es widerspricht auch der deutschen Kultur der klaren Planung und der – mehr oder weniger – abgesicherten Prognose. 

Wer allerdings wirklich digital sein will, muss die Veränderungen im Kopf starten – also wollen! Das Digital Mindset ist die erste wesentliche Komponente für einen echten Digital Leader. Dabei ist das freiwillige Wollen allemal besser, als von neuen digitalen Wettbewerbern dazu gezwungen zu werden.

Nach dem Wollen stellt sich schnell die zweite Frage, nämlich die nach dem „Können“. Digitale Veränderungen sind kein technischer Knopf, den man einfach so drücken kann. Es geht vielmehr um das konkrete Wissen und das zugehörige Know-how rund um eine digitale Wertschöpfung. Die Grundlagen der digitalen Ökonomie sind unerlässlich für jeden Manager und jede Managerin.

Neben Fach- und Sozialkompetenz wird er bzw. sie künftig zwingend auch Digitalkompetenz brauchen, um unternehmerisch führen zu können. Und das gilt nicht nur für die Führungsetagen, sondern für jeden Mitarbeitenden im Unternehmen. Digitale Werte, digitale Wertschöpfung, digitale Wertschöpfungsketten als Grundlage digitaler Geschäftsmodelle müssen jedem in Fleisch und Blut übergehen.

Alle wirtschaftlichen Aktivitäten sind immer auch hinsichtlich einer digitalen Handelsebene zu betrachten. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass das Wissen rund um digitale Technologien, digitale Ökonomie und digitale Märkte auf allen Arbeitsebenen und in den Führungsetagen nicht besonders ausgeprägt ist. Nur durch konkrete Aus- und Weiterbildung lässt sich dieser Zustand ändern. Das Können ist daher die zweite wesentliche Komponente, die einen Digital Leader ausmacht – aber auch diese Digital Skills sind bei vielen deutschen Unternehmen kritisch zu sehen.

Die drei „digitalen P“ 

Was letztlich ebenso zählt, ist die konkrete Umsetzung digitaler Projekte und damit das „Machen“. Alle Beteiligten werden daran gemessen, was konkret passiert und wie das Unternehmen und seine Mitarbeitenden auf diesem Weg mitgenommen werden. Dabei stehen die drei „digitalen P“ im Mittelpunkt: Prozesse, Produkte und Plattformen sowie deren Aufbau und Gestaltung.

Die Automatisierung von Prozessen ist eine schlichte Notwendigkeit, ebenso die Beantwortung damit zusammenhängender Fragen wie „Digital Customer Journey“, „Dynamic Pricing“, interaktives Bestellwesen, Tracking und so weiter.

Daneben wird die Digitalisierung der Produkte eine immer wichtigere Rolle spielen: Sensoren, Internet der Dinge, künstliche Intelligenz und Fernwartung sind hierzu nur einige Stichworte. 

Handelsblatt Rethink Work
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Da die Digitalisierung nicht mehr aufzuhalten ist, müssen wir das digitale Zeitalter aktiv gestalten und gemeinsam das Deutschland 4.0 für unsere digitale Wirtschaft bauen. Dies wird abhängig sein von einem Digital Mindset (Wollen), den zugehörigen Digital Skills (Können) sowie der Digital Execution (Machen), und damit von den Digital Leadern, die unsere Unternehmen ins digitale Zeitalter führen. 



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