Innovation als Ergebnis gelebten Unternehmertums

Mit Intrapreneurship die Innovationskraft der Mitarbeitenden nutzen: Immer mehr etablierte Unternehmen haben sich dieses Ziel gesetzt und entsprechende Programme ins Leben gerufen. Sie wollen damit das Unternehmertum fördern und Kreativität sowie Motivation in Bezug auf Innovationen kanalisieren.

von Prof. Dr. Rodrigo Isidor, Christian Teringl, Dr. Christian Stumpf, Prof. Dr. Matthias Baum

Innovation als Ergebnis gelebten Unternehmertums

Mit Intrapreneurship die Innovationskraft der Mitarbeitenden nutzen: Immer mehr etablierte Unternehmen haben sich dieses Ziel gesetzt und entsprechende Programme ins Leben gerufen. Sie wollen damit das Unternehmertum fördern und Kreativität sowie Motivation in Bezug auf Innovationen kanalisieren. Die Ausgestaltung von Intrapreneurship-Programmen kann allerdings sehr unterschiedlich sein, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Prof. Dr. Rodrigo Isidor

ist Inhaber des Lehrstuhls für BWL mit Schwerpunkt Human Resource Management & Intrapreneurship an der Universität Bayreuth sowie Direktor am Institut für Entrepreneurship & Innovation. Er ist Mentor mehrerer Start-ups und unterstützt Unternehmen unter anderem bei der Gestaltung von Intrapreneurship-Programmen.

Christian Teringl

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Human Resource Management & Intrapreneurship an der Universität Bayreuth und forscht zu den Themen Intrapreneurship sowie Social Entrepreneurship. Daneben coacht er als ehemaliger Gründer angehende Start-ups der Universität.

Dr. Christian Stumpf

promovierte am Lehrstuhl für Entrepreneurship an der Technischen Universität Kaiserslautern. Er war maßgeblich am Auf- und Ausbau des Intrapreneurship-Programms der Deutschen Bahn beteiligt und ist gegenwärtig als Programm-Manager für das Intrapreneurship-Programm des niederländischen Übertragungsnetzbetreibers TenneT tätig.

Prof. Dr. Matthias Baum

ist Inhaber des Lehrstuhls für Entrepreneurship und digitale Geschäftsmodelle an der Universität Bayreuth sowie Direktor am Institut für Entrepreneurship & Innovation. Neben der Forschung unterstützt er Start-ups sowie etablierte Unternehmen unter anderem bei Innovationsthemen.

Innovation ist das Ergebnis gelebten Unternehmertums. Dies gilt sowohl im privaten als auch im öffentlichen und sozialen Sektor. Während für neu gegründete Unternehmen insbesondere in der Anfangsphase unternehmerisches Handeln essenziell ist, schleicht sich diesbezüglich jedoch bei bereits etablierten Unternehmen häufig eine Trägheit ein. Insbesondere bei ehemals erfolgreichen Unternehmen lässt sich beobachten, dass sie sich auf früheren Erfolgen ausruhen. Sie verspüren nicht mehr die Notwendigkeit, neue Wege auszuprobieren und versäumen es dadurch, ihre Innovations-Pipeline aufzufüllen. Ein Hinterherhinken oder gar Verschwinden vom Markt ist für viele dieser Unternehmen die tragische, aber ebenso logische Konsequenz.

Insbesondere bei ehemals erfolgreichen Unternehmen lässt sich beobachten, dass sie sich auf früheren Erfolgen ausruhen.

Etablierung von Unternehmertum auf organisationaler Ebene

Immer mehr etablierte Unternehmen haben dieses Problem erkannt und schreiben der aktiven Förderung und Verankerung von Unternehmertum daher eine große Bedeutung zu. So erweiterte beispielsweise das Traditionsunternehmen Viessmann seinen bestehenden Wertekodex um „Unternehmertum“, während „Unternehmergeist fördern“ nun Eingang in die Strategie des Volkswagen-Konzerns fand.

Zur Realisierung von Unternehmertum auf organisationaler Ebene greifen etablierte Unternehmen bereits auf eine Vielzahl von Instrumenten zurück. Hierbei gewannen in den vergangenen Jahren vor allem solche an Popularität, die – beispielsweise in Form einer Investition in einen Accelerator oder Inkubator – auf eine Kooperation mit Start-ups abzielen. Die erhofften Spill-over-Effekte auf die Belegschaft blieben jedoch größtenteils aus.

Intrapreneurship-Programme bieten dagegen Unternehmen die Möglichkeit, unternehmerisches Denken und Handeln flächendeckend auf Mitarbeitendenebene zu fördern und zu verbreiten. Der Begriff Intrapreneurship setzt sich zusammen aus den beiden Komponenten „Intraorganisational“ und „Entrepreneurship“ (Unternehmertum). In solchen Programmen durchlaufen Mitarbeitende einen strukturierten Prozess, der es erlaubt, das domänenrelevante Wissen aus den eigenen Reihen sowie die Kreativität und die Motivation der Teilnehmenden in Innovationen zu kanalisieren. Intrapreneurship-Programme rücken also den Mitarbeitenden in den Fokus und werden demnach häufig als Bottom-up-Ansatz bezeichnet.

Den Vorteil von Intrapreneurship haben auch immer mehr Unternehmen erkannt und bereits eigene Programme aufgesetzt. Ein solches Programm kann aber viele verschiedene Formen annehmen. Eine Blaupause, die sich einfach auf das eigene Unternehmen übertragen lässt, gibt es nämlich nicht. Vielmehr hängen die Ausgestaltungsoptionen von den konkreten eigenen Bedürfnissen und Rahmenbedingungen ab.

Die Ausgestaltungsoptionen hängen von den konkreten eigenen Bedürfnissen und Rahmenbedingungen ab.

Die Intrapreneurship-Taxonomie – inklusive der Klassifizierung von DB Intrapreneurs (in orange)

Klassifizierung von Intrapreneurship-Programmen

Auf Basis des Intrapreneurship Monitors 2020, der derzeit größten verfügbaren Studie im Bereich Intrapreneurship im deutschsprachigen Raum, haben wir eine Taxonomie entwickelt, anhand derer sich die verschiedenen Programme klassifizieren lassen. Konkret konnten wir fünf zentrale Dimensionen identifizieren, die wir im Folgenden kurz erläutern möchten. Die Abbildung liefert einen Gesamtüberblick über die identifizierten Dimensionen inklusive der jeweils zugehörigen Ausprägungsmöglichkeiten von Intrapreneurship-Programmen.

Die erste Dimension stellt der Innovationsoutput dar. Hierbei geht es um die Frage, welche Art von Innovationen am Ende des Programms entwickelt werden sollen. Unternehmen können sich hier entweder auf die Entwicklung neuer oder auf die Verbesserung bestehender Dienstleistungen und Produkte bzw. Geschäftsmodelle konzentrieren. Während eine Festlegung des Innovationsoutputs durchaus Vorteile hat (zum Beispiel Skaleneffekte), können Unternehmen ihre Programme aber ergebnisoffen lassen und keinen spezifischen Fokus vorgeben.

Anhand der zweiten Dimension, Kundenfokus, legen Unternehmen fest, für welche bzw. ob für bestimmte Kundengruppen Innovationen betrieben werden sollen. Möchten Unternehmen einen Fokus auf bestimmte Kundengruppen legen, gilt es zunächst zwischen unternehmensinternen sowie -externen Kunden zu unterscheiden. Bei unternehmensexternen Kunden ist zusätzlich eine Differenzierung zwischen bestehenden und neuen Kunden möglich.

Der Kundenfokus steht in einem starken Zusammenhang mit den Hebeln des vorhandenen Wissens und der Erfahrung der Mitarbeitenden. Bei der Ausgestaltung des Intrapreneurship-Programms sollten daher Bedingungen geschaffen werden, die eine effektive Nutzung des vorhandenen Humankapitals aus verschiedenen Unternehmensbereichen ermöglichen. Neben der Möglichkeit zur bereichsübergreifenden Kollaboration zählt hierzu unter anderem die Begleitung durch professionelles Coaching.

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Fokus auf Technologie, Strategie-Fit und Prozess

Die dritte Dimension Technologiefokus bezieht sich auf die genutzten Technologien in den Programmen. Unternehmen können sich entscheiden, ob Teilnehmende der Intrapreneurship-Programme entweder bereits vorhandene Technologien verwenden oder versuchen sollen, neue Technologien zu implementieren bzw. zu entwickeln. Natürlich besteht auch hier die Möglichkeit, keine A-priori-Festlegung vorzunehmen und beide Optionen zu erlauben. Zielt ein Programm auf neue Technologien als Grundlage für Innovation ab oder räumt es zumindest die Möglichkeit hierfür ein, gilt es hierdurch bedingte höhere Ressourcenbedarfe und längere Entwicklungszeiten (zum Beispiel im Prototyping) in der Programmplanung zu berücksichtigen.

Bei der vierten Dimension, Strategie-Fit, legen Unternehmen fest, ob sich die Intrapreneurship-Aktivitäten inhaltlich an den strategischen Zielen des Unternehmens ausrichten sollen oder sie keine Vorgaben zur inhaltlichen Ausrichtung vorschreiben. Sollen Projekte im Programm eine Heimat finden, die keinen strategischen Fit aufweisen, ist eine Unterstützung durch unternehmensexterne Partner meist unabdingbar. Dies gilt sowohl im Hinblick auf benötigte Finanzierungsquellen als auch auf Expertise und Netzwerk.

Die fünfte Dimension, Funnel-Länge, kategorisiert bis zu welchem Stadium die jeweiligen Intrapreneurship-Projekte begleitet und von dem Unternehmen mit Ressourcen ausgestattet werden. Die Bandbreite reicht von einer Begleitung bis zum Proof-of-Concept (PoC) bis hin zur gemeinsamen Skalierung am Markt. Werden Intrapreneurship-Projekte nicht bis zu einem Zeitpunkt begleitet, zu dem sie eine positive Kapitalrendite erwirtschaften, gilt es, alternative Erfolgsmetriken heranzuziehen.

DB Intrapreneurs versteht sich als einer der Treiber der digitalen Transformation des Deutsche Bahn-Konzerns.

Das Programm der Deutschen Bahn als Beispiel

Um einmal die mögliche Bandbreite von verschiedenen Intrapreneurship-Programmen aufzuzeigen, haben wir nachfolgend ein erfolgreiches Intrapreneurship-Programm anhand der Taxonomie kategorisiert – das Intrapreneurship-Programm der Deutschen Bahn AG (siehe orange Markierung in der Abbildung).

Das Programm wurde 2017 gegründet und bietet Mitarbeitenden und Geschäftsbereichen der Deutschen Bahn die Möglichkeit, digitale Geschäftsmodelle und Produkte zu entwickeln. Seit dem Start von DB Intrapreneurs haben bisher 260 Mitarbeitende aus über 20 Geschäftsfeldern das Programm durchlaufen. Dabei konnten aus insgesamt 89 Problemstellungen in den vergangenen Jahren vier Corporate-Start-ups aufgebaut werden. Das Programm versteht sich als einer der Treiber der digitalen Transformation des Deutsche Bahn-Konzerns.

Die Klassifizierung von DB Intrapreneurs anhand der Intrapreneurship-Taxonomie in der Abbildung zeigt, dass das Programm beim Innovationsoutput und Strategie-Fit explizite Vorgaben hat. Im Fokus steht hier die Entwicklung neuer Produkte und/oder Services bzw. Geschäftsmodelle, die sich an der Unternehmensstrategie orientieren müssen. Auch die Funnel-Länge ist mit einer Betreuung der Projekte bis zum PoC festgeschrieben. Beim Kunden- sowie Technologiefokus ist das Programm dagegen offengehalten.

Mitarbeitende handeln eigenverantwortlich und knüpfen Netzwerke, die ihnen auf dem Weg zur eigenen Innovation wichtige Ressourcen zur Verfügung stellen.

Programme als Treiber des Kulturwandels

Aus Forschung und Praxis wissen wir um die Wichtigkeit, unternehmerisches Denken und Handeln flächendeckend in Unternehmen zu verankern. Intrapreneurship-Programme stellen in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit zur Operationalisierung dieser Verankerung dar, die zunehmend an Popularität und Bedeutung für etablierte Unternehmen gewinnt. Die vorgestellte Taxonomie sowie das genannte Beispiel sollen exemplarisch aufzeigen, wie vielfältig die Ausgestaltungsmöglichkeiten sein können und in der Praxis gemäß den konkret zugrunde liegenden Zielen an das eigene Unternehmen angepasst werden können.

Dabei gilt zu beachten, dass einmal getroffene Entscheidungen hinsichtlich der Ausrichtung des Intrapreneurship-Programms natürlich revidiert werden können. So verfolgte DB Intrapreneurs ursprünglich primär das Ziel, neue digitale Geschäftsmodelle zu treiben. Mittlerweile hat man bei der Deutschen Bahn gelernt, dass das Programm auch unmittelbar auf die Ziele der digitalen Transformation einzahlt und somit auch Kulturwandel vorantreibt. Mitarbeitende arbeiten in abteilungsübergreifenden Teams und durchbrechen somit häufig unternehmensinterne Silos. Sie handeln eigenverantwortlich und knüpfen Netzwerke, die ihnen auf dem Weg zur eigenen Innovation wichtige Ressourcen zur Verfügung stellen. Nicht zuletzt treiben sie so auch selbst den Wandel voran.

Auch diese Tatsache erkennen immer mehr Unternehmen für sich: Intrapreneurship-Programme haben die Möglichkeit, die ganze Belegschaft zu „energetisieren“ und können so einen essenziellen Treiber und ein Bestandteil des unternehmenseigenen Wandels darstellen.

Dieser Beitrag stammt aus dem Fachmagazin changement!, Ausgabe 4/2021, Seite 28-32