Ausgelernt war gestern

Die fortschreitende Digitalisierung und die sich wandelnden Kundenerwartungen sorgen dafür, dass Mitarbeitende und Führungskräfte sich auch fachlich weiterentwickeln müssen. Ohne lebenslanges Lernen wird niemand dauerhaft erfolgreich sein. Bei der Telekom setzt man darum auf einen umfassenden Ansatz, um neues Wissen im Unternehmen zu etablieren.

von Ferri Abolhassan

Digitalisierung, Automatisierung, Künstliche Intelligenz (KI) – Millionen Manager und Managerinnen weltweit sind technikhörig und glauben, dass sich damit jedes erdenkliche Problem lösen lässt. Ich bin ehrlich: Lange Zeit gehörte ich selbst dazu. Und als promovierter Informatiker glaube ich noch immer an das enorme Potenzial solcher Technologien. Seit ich 2017 die Verantwortung für den Kundenservice der Telekom und seine 32.000 Mitarbeitenden übernommen habe, habe ich jedoch eine weitere Superkraft für mich entdeckt: den Menschen.

In den vergangenen vier Jahren habe ich regelmäßig Momente erlebt, in denen ein Lächeln locker hundert Computer geschlagen hat – selbst in einer hochtechnisierten und vielfach automatisierten Branche wie unserer. Augenblicke, in denen einer noch so weit entwickelten KI nicht das gelang, was der Mensch mit seiner natürlichen Intelligenz schaffte. Kunden analysieren und kategorisieren kann jeder Automat. Kunden begeistern, Zwischentöne hören, die richtige Haltung zeigen, das kann nur der Mensch. Darum macht er im Service noch immer den Unterschied – trotz aller Digitalisierung.

Dr. Ferri Abolhassan

ist promovierter Informatiker und Herausgeber zahlreicher Fachbücher. Er ist seit 2008 für die Deutsche Telekom tätig. 2016 wurde er Mitglied der Geschäftsführung der Telekom Deutschland GmbH und führt seitdem den Geschäftsbereich Service mit rund 30.000 Mitarbeitenden. Seit Mai 2021 ist er außerdem für die Privatkunden Vertriebsgesellschaft mbH verantwortlich, zu der die Telekom Shops gehören.

Helfen wollen – und können

Doch so wichtig Empathie und andere Soft Skills auch sind, weil sie uns einzigartig machen, sie allein reichen nicht aus. Für einen begeisternden Service genügt es nicht, helfen zu wollen. Ich muss auch helfen können! Nichts ist für Kunden frustrierender als ein Servicemitarbeiter, der vorgibt, helfen zu wollen, aber dazu gar nicht in der Lage ist. Das haben wir alle schon erlebt – ob beim Arzt, im Restaurant oder Kaufhaus. Wir hatten vielleicht ein nettes Gespräch, aber unser Anliegen blieb ungelöst.

Darum ist neben emotionaler Intelligenz genauso kognitive Intelligenz so wichtig. Für mich sind das zwei Seiten derselben Medaille. Die einen nennen es Know-how, Expertise, Kompetenz oder Kennerschaft, ich sage gern Fachlichkeit dazu. Erst Fachlichkeit versetzt mich in die Lage, dem Kunden auch helfen zu können und meine Superkräfte als Mensch in seinem Sinne auszuspielen. Der Mix macht’s!

EQ vor IQ ist ein Missverständnis

Allerdings ist diese Fachlichkeit, die es für einen tadellosen Service braucht, in der vergangenen Dekade vielerorts zu kurz gekommen. Nicht nur bei uns im Kundenservice, auch in vielen anderen Branchen. Wir haben uns hierzulande sehr stark darauf konzentriert, unsere vermeintliche Schwäche zu überwinden und an unserer emotionalen Intelligenz gearbeitet. Dieses Umdenken war – nicht nur im Dienstleistungssektor – völlig richtig und überfällig.

Kunden begeistern, Zwischentöne hören, die richtige Haltung zeigen, das kann nur der Mensch.

Doch diese Fokussierung hat zu einem Ungleichgewicht geführt: Unsere kognitiven Fähigkeiten sind häufig zu stark in den Hintergrund gerückt. „EQ vor IQ“ – für viele Unternehmen und Personalabteilungen schon zum neuen Credo gereift – ist in meinen Augen ein tückisches Missverständnis. Nur mit einer gesunden Balance von beidem sind wir in der Lage, das Tempo mitzugehen, das uns von zwei Seiten diktiert wird: Zum einen geben unsere Kunden und ihre Erwartungen den Takt vor. Zum anderen sorgt die Digitalisierung dafür, dass sich die eigenen Produkte und Services immer schneller weiterentwickeln.

Darum plädiere ich für eine neue Fachlichkeit im Service. Viel zu häufig erlebe ich im privaten wie im beruflichen Umfeld, etwa bei der zunehmend komplexeren Heimvernetzung, dass es häufig noch an dem nötigen Fachwissen mangelt, das unseren Produkten und Services gerecht wird – und das unsere Kunden von uns zu Recht erwarten. Nur wenn wir fachlich so fit bleiben, dass wir das Tempo des technischen Wandels mitgehen können, sind wir auch künftig in der Lage, die Anliegen unserer Kunden zu lösen.

Was tun wir also als Telekom dafür, um unsere Menschen fachlich noch fitter zu machen und ihre Superkräfte ganzheitlich zu wecken? Was erwarten wir in diesem Zusammenhang von ihnen selbst? Und wie können wir sie als Unternehmen dabei unterstützen?

Bereits bei der Ausbildung wird angesetzt

Unser Ansatz ist so vielfältig wie die Telekom selbst: So sind wir einer der größten Ausbildungsbetriebe Deutschlands. Allein im September 2020 haben 1.450 junge Menschen ihre berufliche Karriere in unserem Konzern gestartet. Und an dieser Stelle fängt unsere Aufgabe schon an: Zum einen müssen wir jungen Leuten vermitteln, dass Soft Skills wie Empathie, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Vertrauen unglaublich wichtig sind, da sie uns von intelligenten Maschinen unterscheiden. Zugleich müssen wir deutlich machen, dass breites Fachwissen genauso wichtig ist. Deshalb arbeiten wir bei der Telekom bereits daran, physikalische Grundlagen wieder stärker zum Gegenstand der Ausbildung zu machen.

Früher hieß es: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr.“ Mag sein, dass diese Mahnung an die Adresse von Schulanfängern heute noch fruchtet. Ein Trugschluss ist jedoch die mögliche Ableitung: Als Erwachsener bin ich mit dem Thema „Lernen“ durch. Das Gegenteil ist der Fall: Ausgelernt war gestern! Wir brauchen mehr als je zuvor die Bereitschaft, Tag für Tag Neues lernen zu wollen. Dazu gehört auch die Einsicht, dass Lernen keine Strafe ist, sondern ein Geschenk, das uns ein Leben lang weiterbringt.

Wir brauchen mehr als je zuvor die Bereitschaft, Tag für Tag Neues lernen zu wollen.

Jeder Mensch sollte Freude daran haben, sein Wissen jeden Tag ein bisschen zu erweitern – freiwillig und nicht, weil es jemand von uns verlangt. Für diesen Schlüssel zur persönlichen Weiterentwicklung ist das Wollen, das eigene Mindset, eine zentrale Voraussetzung. Deshalb sprechen wir bei der Telekom gerne davon, dass sich jeder Mitarbeitende als CEO seiner eigenen Entwicklung verstehen sollte.

Denn letztlich ist persönliches Wachstum eine Frage der inneren Haltung, des eigenen Mindsets. Es liegt an uns, ob wir mit dem Status quo zufrieden oder aber bereit sind, in den nächsten Schritt zu investieren. Zu den sechs Guiding Principles der Telekom gehört daher auch die Leitlinie „Bleibe neugierig und wachse“. Das zeigt, wie fest der Gedanke der individuellen Weiterentwicklung in unserer DNA verankert ist.

Führungskräfte haben Vorbildfunktion

An dieser Stelle kommt Führungskräften eine besondere Rolle zu: Die hohen Ansprüche, die wir an unsere Mitarbeitenden stellen, müssen wir zuallererst selbst erfüllen. Wir müssen Vorbilder in Sachen Lernen sein. Indem wir vorleben, dass Lernen Spaß macht und dass Wissen jeden Einzelnen von uns in seiner Entwicklung voranbringt.

Berufliche Weiterbildung ist zudem keine Freizeitaufgabe. Dafür braucht es Freiraum im Arbeitsalltag – für Trainings, Coachings und den fachlichen Austausch. Im 1:1 mit dem direkten Vorgesetzten lässt sich gut herausfinden, an welchen Stellen die Mitarbeitenden sich noch entwickeln können. Es ist wie im Fußball: Ein guter Coach sorgt dafür, dass seine Spieler jeden Tag ein bisschen besser werden und stellt dafür das nötige, teils individuelle Training zusammen. Nur wenn sich das gesamte Team stetig weiterentwickelt, schafft man es irgendwann bis in die Champions League.

Doch was ist für unsere Telekom-Kunden Champions League-Niveau? Wo liegt die Messlatte? Welche Anforderungen stellen sie an unsere Kompetenz und unsere Art des Umgangs mit ihnen? Genau hierauf liegt der Fokus von Wissen@Service, einem Kompetenz-Guide für alle Service-Mitarbeitenden. Auch mit dessen Hilfe können sie ihre individuellen Stärken und Entwicklungspotenziale leicht identifizieren und gezielt daran arbeiten.

Einblick in den Arbeitsalltag der Kolleginnen und Kollegen bekommen

Um unseren Team-Managern Orientierung für ihre Rollen zu geben, haben wir im Telekom-Service schon 2019 den Führungsanker ausgeworfen (siehe Abbildung). Dieser setzt dort an, wo Führen und Fachlichkeit beginnen: bei einem selbst! Ich muss mir zunächst einmal klar werden, wie ich als Führungskraft aufgestellt bin, welches Mindset mich auszeichnet, was meine Glaubenssätze und Verhaltensmuster sind. Erst dann kann ich an mir selbst arbeiten und für meine Mitarbeitenden zum besten Coach werden.

Diesen praxisorientierten Ansatz wollen wir bei unseren Führungskräften noch stärker verankern, deshalb haben wir Anfang des Jahres bei der Telekom die X Days eingeführt. Das ist ein Programm, das unserem Management die Chance bietet, mehrere Tage im Jahr direkt bei den Kunden und Kundinnen zu verbringen. Für uns im Service bedeutet das, an der Hotline mithören, mit einem Servicetechniker rausfahren, der Disposition über die Schulter schauen und bestimmte Anliegen auch selbst lösen. So erhalten unsere Führungskräfte einen stärkeren Einblick in den Arbeitsalltag der Kolleginnen und Kollegen an der Frontline und können sich noch besser in die Lage der Kunden versetzen.

Ich finde das essenziell und bin als Sales- und Service-Chef regelmäßig mit unseren Servicetechnikern oder Vertrieblern bei den Kunden vor Ort. Genauso oft besuche ich die Kolleginnen und Kollegen in unseren 50 Servicecentern und 440 Telekom Shops. Denn hier zeigt sich, ob unsere Fachlichkeit, gepaart mit der nötigen Empathie, unsere Kunden zu Fans macht oder nicht. Hier wird das Spiel für uns als Serviceteam tagtäglich entschieden.

Es kommt auch auf die richtigen Tools an

Neben der richtigen Haltung, den richtigen Vorbildern und richtigen Initiativen, kommt es natürlich auch auf die richtigen Tools an, damit sich die Menschen bei der Telekom gezielt weiterentwickeln können. 2020 haben wir mit Percipio eine neue Lernplattform eingeführt – mit Kursen, Videos und (Hör-)Büchern zu Themen wie Führung, emotionaler Intelligenz, Business Skills, Technik und Entwicklung sowie digitale Transformation. Wir nennen diese Plattform auch unser „Netflix des Lernens“, weil die Bedienung sehr intuitiv ist und inhaltlich wirklich jeder etwas für sich und seine Interessen findet. Inklusive der integrierten Kurse von Coursera gibt es hier inzwischen über 180.000 Lernmodule. So können unsere Mitarbeitenden jederzeit einfach und unterhaltsam, kostenlos und individuell ihren Wissensschatz vergrößern – egal ob am Rechner, Tablet oder Smartphone.

Eine weitere Möglichkeit, bei der Telekom Neues zu lernen, bietet unsere Graswurzelinitiative LEX – Lernen von Experten. Als informelle Community ist LEX inzwischen über 20.000 Mitglieder stark. Allein 2020 fanden rund 2.000 Sessions statt, in denen Mitarbeitende aus ihrem eigenen inneren Antrieb heraus ihr Expertenwissen mit Kolleginnen und Kollegen zu unterschiedlichen Themen teilen – vom Microsoft Office-Update über Entspannungsübungen bis zu Rezepten für die beste Kohlroulade. Inhaltlich gibt es keine Grenzen. Für mich ist LEX ein Paradebeispiel für eine offene Lernkultur und dafür, wie die Verantwortung Neues zu lernen aus der Mitte einer Organisation herausgetragen wird.

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07.01.2022 | von Sebastian Matthes

Unter „Lernen von anderen“ fällt für mich auch TEX, das Telekom Expertenteam. Einerseits zeigt dieses Beispiel, dass man im eigenen Unternehmen hervorragend aus Best Practices von Kolleginnen und Kollegen lernen kann. Zugleich ist das Modell ein Beispiel für Agilität, die hilft, sich fachlich untereinander und in diesem Fall sogar transatlantisch auszutauschen. TEX ist ein besonderes Modell der Kundenbetreuung, das wir bei T-Mobile USA aufgegriffen und für unsere Anforderungen in Deutschland weiterentwickelt haben.

Seither landen Anrufer und Anruferinnen aus einer Region stets im selben Serviceteam. Dort arbeiten Mitarbeitende bereichsübergreifend zusammen und verfügen über regionales Know-how. Sie kennen geografische Besonderheiten oder aktuelle Wetterlagen und erleichtern mitunter auch schon wegen ihres gleichen Dialekts den Kontakt zum Kunden. Das trägt zum gegenseitigen Verständnis bei.

Fachlichkeit hat viele Dimensionen

Die neue Fachlichkeit, die mir so wichtig ist, hat viele Dimensionen. Es braucht das Zusammenspiel diverser Faktoren, damit jeder an seinen Aufgaben wachsen und erfolgreich an seiner fachlichen Fitness arbeiten kann. Das erfordert nicht nur Engagement, sondern auch Mut und ist neben den Herausforderungen des Arbeitsalltags definitiv keine leichte Aufgabe. Doch aus meiner Sicht sind diese Anstrengungen alternativlos.

„Wissen ist Macht“, sagte schon der englische Philosoph Francis Bacon. Für uns im Kundenservice ist Wissen die Macht, unseren Kunden und Kundinnen gezielt weiterhelfen zu können. Und auf diese Handlungsmacht können wir nicht verzichten, wenn wir auch in Zukunft das beste Serviceerlebnis der Branche bieten wollen. Dem haben wir uns verschrieben und dafür brennen wir. Und deshalb ist Wissen für uns nicht nur Macht, sondern macht uns auch Spaß. Denn nichts ist für eine Servicekraft erfüllender, als das Anliegen des Kunden oder der Kundin auf Anhieb zu lösen und ihn oder sie zu begeistern. 

In anderen Branchen sind es andere Ziele, die die Unternehmen und Mitarbeitenden antreiben, doch auch hier sorgen erst lebenslanges Lernen und die nötige Fachlichkeit dafür, dass diese Ziele im Sinne der Kunden erreicht werden. Darum noch einmal mein Appell: Ausgelernt war gestern!

Es braucht das Zusammenspiel diverser Faktoren, damit jeder an seinen Aufgaben wachsen und erfolgreich an seiner fachlichen Fitness arbeiten kann.

Dieser Beitrag stammt aus dem Fachmagazin changement!, Ausgabe 6/2021, Seite 15-19