Führungskräfte: So helfen neue Technologien bei der Fortbildung

Manager und CEOs per App zu schulen soll Unternehmen helfen, die Geschäftsführung zu verbessern. Algorithmen schlagen dabei die passenden Themen vor.

von Kirstin von Elm

Alexi Robichaux fühlte sich überfordert und unterqualifiziert. Nachdem er 2011 sein Start-up an den US-Softwarehersteller VMware verkauft hatte, arbeitete er dort weiter als Leiter des Produktmanagements. Der Topjob in dem Hightech-Unternehmen, das damals knapp vier Milliarden Dollar umsetzte und heute das Dreifache, war ein Wendepunkt in seiner Karriere. Allerdings nicht zum Guten.

Der 26-jährige Programmierer verdiente zwar bestens und war in alle wichtigen Entscheidungen eingebunden, doch er kam mit dem selbst erzeugten Druck nicht klar: “Ich war besessen von meiner Karriere, wollte der Konkurrenz immer einen Schritt voraus sein, ein unglaublich anstrengender Lebensstil.”

Damals verkehrte er mit den Stars des Silicon Valley, heute ist er selber einer. Denn nach nur einem Jahr kündigte er seinen Führungsjob, nahm eine Auszeit – und ersann seine nächste Geschäftsidee: professionelles individuelles Coaching für Menschen auf jedem Karrierelevel. 2013 gründete er Betterup, eine Onlineplattform für virtuelles Coaching und mentale Fitness. Das Start-up ist heute mit 4,7 Milliarden Dollar bewertet.

Kirstin von Elm

ist als freie Journalistin tätig. Sie berichtet unter anderem für die Verlagsgruppe Handelsblatt in den Berichen: Karriere, Weiterbildung und Berufseinstieg.
https://www.handelsblatt.com/themen/mba-studium

Studien belegen einen klaren Zusammenhang zwischen den Führungsqualitäten des Managements und dem Unternehmenserfolg. Mit seinem internen Forschungsprojekt “Oxygen” wollte Google 2005 eigentlich beweisen, dass klassische Managementstrukturen in jungen Technologiefirmen überflüssig sind. Heraus kam das Gegenteil: Gute Vorgesetzte haben einen erheblichen Einfluss auf die Teamleistung und damit auf das Ergebnis.

“Wie lange Beschäftigte ihrem Unternehmen treu bleiben und wie einsatzfreudig und produktiv sie sind, hängt in erster Linie vom Führungsverhalten des direkten Vorgesetzten ab”, sagt auch Marco Nink, Studienleiter des Gallup Engagement Index. Das Forschungsinstitut schätzt, dass demotivierte Mitarbeiter deutsche Unternehmen jährlich mehr als 100 Milliarden Euro kosten – aufgrund höherer Fehlzeiten, Jobwechsel oder weil sie Kunden und Bewerber vergraulen.

Laut einer Umfrage des Karrierenetzwerks Xing zählt Frust über den Chef zu den Hauptgründen für Kündigungen. Gleichzeitig steht gutes Führungsverhalten bei Jobsuchenden höher im Kurs als mehr Gehalt.

Gute Gründe, in die Kompetenzen leitender Mitarbeiter zu investieren. Bei BetterUp können diese anhand eines Onlinefragebogens ihren persönlichen Coachingbedarf selbst definieren und per App einen Termin bei einem passenden Coach buchen.

Nicht der Vorgesetzte oder die Personalabteilung schlägt die passenden Inhalte und Anbieter vor, sondern ein Algorithmus. Die Termine finden zeit- und kostensparend online statt, anschließend erfolgt eine Erfolgskontrolle.

Inzwischen zählen Großunternehmen wie Airbnb, BP, Google, Hilton, Mars oder Salesforce zum Kundenstamm von BetterUp, der Softwarekonzern stieg 2021 sogar als Investor ein. Durch den Trend zum Homeoffice seien die Anforderungen an Manager erheblich gewachsen, sagt Angela McKenna, bei Salesforce zuständig für Mitarbeiterbindung.

Sie müssten nicht nur die Performance ihrer Teams im Blick behalten, sondern diese auch sicher durch die Herausforderungen von Remote Work navigieren und dabei die Unternehmenskultur bewahren. Hinzu kommen Großthemen wie digitale Transformation und Nachhaltigkeitsmanagement. Ohne professionelle Unterstützung ist das kaum zu schaffen.

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Mit herkömmlichen Weiterbildungsmaßnahmen sei dieser steigende Bedarf nicht zu decken, glaubt Lars Stadelmann, Global Learning Expert beim Chemiekonzern Evonik in Duisburg. “Wir müssen eine neue Lernkultur schaffen”, sagt der Diplom-Soziologe. Gerade ältere, erfahrene Mitarbeiter, darunter viele Führungskräfte, hätten die Vorstellung, Lernen sei gleichbedeutend mit dem Besuch von Seminaren oder Trainings.

Das sei nicht mehr zeitgemäß. Der Experte wünscht sich ein Umfeld, in dem eigenverantwortliches Lernen in den Berufsalltag integriert wird. Das erfordere den Einsatz digitaler Technologien. “Wir haben uns entschlossen, das einfach mal auszuprobieren.”

Dazu hat Evonik ein Pilotprojekt mit Lepaya gestartet. Das 2018 gegründete EdTech-Unternehmen aus Amsterdam hat eine Lernplattform entwickelt, über die sich Online- und Offlinemodule zu maßgeschneiderten Trainings kombinieren lassen. Im Fokus stehen sogenannte Power Skills wie bewusstes Lernen, Resilienz, Empowering Leadership oder Teamarbeit.

Quizformate in der Fortbildung

Die modernen “Superkräfte” werden in kurzen Einheiten vermittelt, die sich gut in den Terminkalender integrieren lassen. Videos, Quizformate und Live-Trainings mit Schauspielern ergänzen die theoretischen Grundlagen. Konkrete Übungsaufgaben sollen helfen, das Gelernte im Berufsalltag anzuwenden. Durch kontinuierliches Feedback können Vorgesetzte und Personaler überprüfen, ob die Weiterbildung Wirkung zeigt und sich für das Unternehmen rechnet.

BetterUp und Lepaya gehören zu der wachsenden Zahl von Start-ups, die digitale Technologien, künstliche Intelligenz und neurowissenschaftliche Erkenntnisse verknüpfen, um neue, motivierende Lernformate zu entwickeln. Ausgestattet mit 425 Millionen Dollar Kapital aus zwei Finanzierungsrunden und medienwirksamer Unterstützung von Prince Harry, Duke of Sussex, als Chief Impact Officer will BetterUp die Expansion in Europa vorantreiben.

Kürzlich wurde ein Büro in München eröffnet. In Deutschland treffen die Amerikaner mit Coachhub und Sharpist auf lokale Wettbewerber mit ähnlichen Geschäftsmodellen.

“Coaching als individuelle Begleitung von Lern- und Veränderungsprozessen wird langfristig großen Zuwachs verzeichnen”, sagt Carsten Schermuly, Professor für Wirtschaftspsychologie an der privaten Hochschule SRH Berlin. Für Onlineformate sprächen der unkomplizierte Zugang und der hohe Personalisierungsgrad.

Die Grenzen der Geschäftsmodelle verwischen: So bieten Coachhub und BetterUp auch aufgezeichnete Bildungsinhalte an, Lern-Apps wie Lepaya integrieren Live-Interaktion mit Coaches in ihre Programme. Lepaya will bald auch Virtual-Reality-Sessions anbieten.

Passende Weiterbildungsangebote auf Knopfdruck

Angesichts der wachsenden Vielfalt an Qualifikationsmöglichkeiten werde es für Personaler und Vorgesetzte zunehmend zur Herausforderung, den Überblick zu behalten, sagt Elisa Hertzler. Mit ihrem Start-up Peer Solutions stellt sie daher für jeden Bedarf passgenaue Weiterbildungsangebote zusammen, quasi auf Knopfdruck.

Dazu werden in einer Datenbank Jobprofile samt den dazu passenden Fähigkeiten hinterlegt, die dann mit digitalen Lerninhalten seriöser und geprüfter Anbieter abgeglichen werden. Interessenten füllen einen Fragebogen aus, ein Algorithmus erstellt passend zu den Budget- und Zeitvorgaben den optimalen Lernpfad. “Weiterbildung muss für die Mitarbeiter relevant sein”, sagt Hertzler, “sonst hat sie keinen positiven Effekt.”

Dieser Beitrag stammt aus dem Handelsblatt, https://archiv.handelsblatt.com/document/HBON__HB_28236306